Neurofunktionelle Reorganisation bei Myasthenia Gravis

Frau Barbara, 29 Jahre, kommt wegen Rhinophonia aperta bei Myasthenia gravis (Wikipedia: Autoimmunerkrankung, Störung der neuromuskulären Erregungsübertragung. Am häufigsten sind Acethylcholinrezeptorantikörper nachweisbar, die die Wechselwirkung zwischen dem Transmitter Acetylcholin und dessen Rezeptor verhindern oder erschweren, der Nervenimpuls wird nicht auf den Muskel übertragen, der Muskel wird nicht erregt) zur Logopädie. Neben der Hypernasalität mehren sich die Symptome von Kau- und Schluckstörung bis hin zu motorischer Unsicherheit und Falltendenz beim Gehen. Sie beschreibt: „Alles lässt nach“.

Therapiebeginn: Essen/Schlucken: feste Speisen bleiben im Hals „hängen“, muss sie „hinunterwürgen“ und hat manchmal „Gefühl zu ersticken“. Trinken ist nur noch schluckweise möglich und Flüssigkeit rinnt an den Mundwinkeln oder zum Teil wieder durch die Nase heraus. Die Lippen sind hypoton, „gefühls- und bewegungslos.“ Lippenstift auftragen scheitert, da der Lippenstift die Lippen wegschiebt; Kauen: durch inkompetenten Lippenkontakt fällt Essen aus dem Mund; keine Kraft, Fleisch zu zerbeißen, oft ist nur flüssige Nahrung möglich, die vorsichtig in den Mund geleert wird. Bei längerem Sprechen entsteht „leichtes Taubheits- und Lähmungsgefühl in Zunge und Wangen“, oft von Würgreiz begleitet, das Sprechen wird nasal, verwaschen, dysarthrisch. Atmung: „Ich kann nicht tief einatmen, bei der geringsten Anstrengung bin ich kurzatmig, ringe nach Luft; kann beim Verschlucken nicht abhusten, Gefühl zu ersticken.“ Die Reaktionsfähigkeit ist herabgesetzt: „Wenn mir etwas aus der Hand fällt, kann ich nur zuschauen“. Kaum Mimik, fast akinetisch. Muskelkater: bis zu einer Woche Schmerzen mit Bewegungseinschränkung. Beruf: wird nach Sturz aus der Straßenbahn täglich von Mann ins Büro gebracht und von Freundin abgeholt; versucht, so gut es geht, ihre Aufgaben zu erfüllen. Vortragstätigkeit gehört zum Beruf, ist nur mehr eingeschränkt möglich. Augen: der Lidschluss ist inkomplett und es entstehen Doppelbilder. Medikation: starke Nebenwirkungen, wir Diarrhoe, Krämpfe des Magen-Darmtraktes, Tachykardie, Schwächegefühl, Lähmungszustände etc. Hobbies, wie Tennis, Schifahren, Tanzen sind nicht mehr möglich.

Aufgrund der ganzkörperlichen Krankheitssymptome entscheiden wir uns für die ganzheitliche Behandlungsmethode der Neurofunktionellen Re-Organisation(NR) nach Beatriz A.E.Padovan mit Übungen für Atmen-Stimme-Artikulation, Saugen, Kauen, Schlucken und Motorik.

Zu Therapiebeginn bitten wir um Anfangsbefund von Neurologie und Labor als Referenzwert für spätere Kontrollen. Schon einfache Körperbewegungen, wie Kopfdrehen und Armbewegung in Bauchlage kosten der jungen Patientin viel Kraft, Anstrengung und Konzentration. Die Übungen der NR werden geführt und unterstützt, bis sie wieder aktiv durchführbar sind. Im Laufe der Behandlung verbessern sich Atmen, Kauen, Schlucken, Sprechen und Bewegen. Die Medikamente werden besser vertragen, weniger starke Nebenwirkungen. Frau B. beschreibt: „Die bleierne Müdigkeit ist weg, ich bin wieder belastbar im Job und sogar nach der Arbeit noch unternehmungslustig. Meine Ängste und Unsicherheiten treten seltener auf, ich kann wieder essen und trinken und auch Vorträge halten. Ich halte mehr aus, auch Sport und andere Hobbies sind wieder möglich!“ Im Neurologiebefund steht: „…die Antikörperbestimmung stimmt mit der Erhöhung des Wertes keineswegs mit dem guten klinischen Zustand der Patientin überein.“(…)“Ich empfehle die Beibehaltung der oben genannten Therapie und Kontrolle in 6 Monaten.“ Zum Anstieg der ohnehin erhöhten Antikörperwerte befragte ich Prof. Annunciato, Neuroanatom, der mit der NR vertraut ist und deren Wirkungsweise kennt. Er erklärte, dass durch die Stimulierung in der NR mehr körpereigene Transmitter gebildet werden und dadurch auch mehr Antikörper gegen Transmitter nachweisbar sind. Deshalb ergibt sich bei besserem Allgemeinbefinden ein trotzdem scheinbar „schlechterer“ Laborwert.

Nachdem mehrere logopädische Therapieansätze während der mehrjährigen logopädischen Zusammenarbeit bei Frau Barbara keine wesentliche Besserung ihrer Krankheitssymptome bewirkten, zeigte sich die NR, mit der wir ein Jahr und neun Monate arbeiteten, für diese junge Patientin am zielführendsten. Die Gott-sei-Dank überaus großen Veränderungen und Verbesserungen der Symptome und letztlich der Lebensqualität der tapferen jungen Frau sind auch ihrer konsequenten und zielstrebigen Umsetzung der angebotenen logopädischen Übungen zuzuschreiben. „Seit der Therapie bei Ihnen mit der NR begann ich wieder zu leben und jetzt lebe ich wieder“.

 

Hier der Artikel zum Download: Myasthenie-1994.pdf